VeloVici – Sich als Beobachter verstehen

Radweg von San Javier nach Murcia in Spanien, 2018

Weil Fahrradfahren auch die Sinne weckt, Augen, Ohren, Gehör, ist dieser Blog auch ein politischer Blog. Straßen kann man mit Mauern „verstecken“, in Tunneln, in Schallschutzwänden. Fahrradstraßen sind in der Regel offen, mit Blick in das Weite, mit Blick auf die Umgebung. Nichts muss verborgen bleiben, Exzessive Landwirtschaft, Müllhalden, verschmutzte Gewässer, stinkende Kanäle, Bauruinen, kaputte Städte (bis auf die Stadtmitten vielleicht), Gentrifizierung, eintönige Industrie, schmutzige Industrie, Einheitsessen à la McDonalds und BurgerKing, all das bleibt dir auf den Fahrradwegen nicht verborgen. Aber natürlich nicht nur die negativen Seiten der modernen Zivilisation. Auch die Wälder, Naturparks, Seen, Strände, Juwelen der Natur und manchmal auch die Menschen sind mit dem Fahrrad viel leichter zu entdecken als mit dem Auto oder der Bahn.

Friedensdenkmal bei Wustrow- Darß

Jeder Landstrich, jede Stadt hat auch eine Geschichte. Auch das gehört zum offenen Fahrradfahren.

Kohlekraftwerke bei Peitz in Brandenburg

Daher ist dieser Blog ein „Mitmach“-Blog, für alle, die ihre Erfahrungen ebenfalls beitragen wollen. Sei ein politischer Beobachter im weitesten Sinne und berichte über das, was du erlebt hast.

Von Basel nach Blois

Eine Reise im Zeichen von Corona – Auf der Euro 6

Das Zeichen für die EuroVelo 6 Route
Das Zeichen für die EuroVelo 6 Route

Es ist Freitag, der 14. August 2020. Es ist schönes Wetter. Ich bin in Leval am Lac de la Seigneurie, unweit von Mulhouse in den Südvogesen. Es sind Ferien in Frankreich. Normalerweise sind die Campingplätze ausgebucht, so auch auf diesem wunderschönen, relativ großen Platz am See. Aber er ist leer. Ein paar Wohnwägen, zwei Zelte. „Wissen Sie, das ist eine Katastrophe für uns“, sagte mir der Campingbesitzer, „und das, obwohl viele anderen Campingplätze um uns sowieso geschlossen sind“.

Leere Campingplätze in Frankreich
Leere Campingplätze in Frankreich

Das ist die Stimmung im Corona-August 2020. Ich höre davon, dass zwar viele Menschen Urlaub am Meer machen, aber im Landesinneren ist es leer. Man macht nur den nötigsten Urlaub, wie mir scheint. Warum auch nicht? Alle Festivitäten, die sonst in diesem Monat stattfinden, sind abgesagt. Die so beliebten Sonntagstänze auf den Plätzen der Dörfer finden nicht statt, Festivals sind abgesagt. Jahrmärkte. Musikevents – ja sogar Museen sind zum Teil geschlossen. Die Innenstädte weitgehend verwaist. Touristenzentren in Besançon, Dole, Belfort oder Monbeliard, überall lehnen sich die Kellner gelangweilt an die Türrahmen ihrer Cafés, da die Kundschaft fehlt.

Der Doubs Durchbruch bei Thoraise
Der Doubs Durchbruch bei Thoraise – verhängt mit einem Wasserfall auf beiden Seiten

Ich befinde mich auf meiner diesjährigen Radltour, der EuroVelo 6 entlang Richtung Nantes, von München aus. Nachträglich weiß ich, warum alle Empfehlungen die Richtung umdrehen, – von Nantes Richtung Wien. Es ist ein permanenter Westwind, mal nur 13 km/h, mal aber auch 30 km/h mit Böen bis zu 60 km/h, der gegen meine Muskelkraft ankämpft und verhindern will, dass man eine geruhsame, launige Fahrt unternehmen kann. Zunächst geht es noch durch das Jura mit einem wunderschönen Weg entlang der Doubs und später der Saône. Links und rechts ragen steile Felshänge in den Himmel und eröffnen einen sagenhaften Blick. Das geht so bis Châlon-sur-Saône. Dann aber werden die Wege zunehmend auf den Deichen angeboten, die leider keinen Windschutz bieten.

Der Doubs entlang durch das französische Jura
Der Doubs entlang durch das französische Jura

Aber dieses Frankreich ist ein anderes, als ich es kennengelernt habe. Auf der Straße muss man in manchen Städten mit Maske laufen, auch das Fahrradfahren ist in diesen Städten nur mit Maske erlaubt. Auf der Route fühlt man sich fast schon einsam. Immer mehr Gaststätten, Lebensmittelläden, sogar Campingplätze sind geschlossen oder haben schon ganz aufgegeben. Ich bin oft 30 km geradelt, ohne die Möglichkeit zu bekommen, mir eine Flasche Wasser zu kaufen.

Es herrscht eine merkwürdige Stimmung. Obwohl August, begegnen mir trotz der wichtigsten Radstrecke in Frankreich relativ wenige Radfahrer. Wo immer ich einkehre, als Ausländer wird man etwas argwöhnisch bis erstaunt angeschaut: Da traut sich einer trotz Corona, solch eine Tour zu machen. Immerhin, man kommt dann doch ins Gespräch, ich kann mein Französisch verbessern, andere Sprachen sind in diesem Jahr kaum zu hören.

Dennoch verhindern Masken oft, dass man sich verständlich machen kann. Als nicht nativ-sprechender Besucher bin ich darauf angewiesen, langsames und deutlich gesprochenes Französisch zu hören und ein ebensolches zu sprechen. Masken verhindern das. Das Ergebnis ist ein Genuschel, ein musikalisches Einerlei, das oft mit Sprache nichts mehr zu tun hat. Masken schleifen die Konsonanten, verstecken die Mimik, die Begriffe unterstreichen. Weil das nicht nur mein Empfinden ist, wird in Frankreich gefühlt viel weniger Masken getragen, als eigentlich vorgegeben. Vielleicht ist das auch eine Folge davon, mit welcher Rigorosität der Lockdowns (confinement) durchgeführt wurde, inklusive einer vierwöchigen Ausgangssperre.

Überfüllung am Bodensee

Auch in Deutschland sind die Campingplätze nicht so voll wie gewohnt. Eine Reservierung ist in der Regel nicht notwendig. Das gilt aber nicht für die Seen und das Meer. Dort drängen sich mehr Menschen als gewohnt. Die meisten von ihnen wollen das Land nicht verlassen und dennoch Urlaub machen. Verständlich.

Als ich von Memmingen nach Lindau radle, sehe ich von weitem die Überfüllung des Campingplatzes. Ich weiche nach Bregenz aus und werde dort mit den Worten empfangen: „Es ist so voll hier, dass ich Dir empfehle, weiterzufahren, solltest Du Angst vor Corona haben.“ Überall rund um den See drängen sich die Menschen wie ich an den nächsten Tagen erfahren werde. Die Badestellen sind so dicht belegt, dass es schwer ist, einen 2 Meter-streifen um sich herum frei zu halten.

Spätestens aber oben auf dem Pfänder in Bregenz entschädigt die wunderbare Aussicht über den Bodensee den übervollen Massentourismus. Wäre da nicht die Seilbahnfahrt dort hinauf, mit Maske und den dicht gedrängten Menschen in der Kabine, etwas beängstigend…

Ein Klavierspieler in Bregenz
Ein Klavierspieler in Bregenz

Wie so vieles in diesem Jahr ist auch meine diesjährige Radltour ein sehr andersartiges Erlebnis, eines, welches ich nicht so schnell vergessen werde.

Von Venezia nach Ancona

Diese Strecke ist ca 410 km lang.

Im Veneto

Entlang der Via Romea bei Lova Richtung Gioggia. Der Weg war oft mit Gras und Kräutern zugewuchert, von Fahrradweg kann man hier nicht sprechen, eher Feldweg. Die Alternative aber ist die Hauptstraße parallel dazu, mit all dem LKW Verkehr. Das muss ich in Italien noch oft genug fahren, daher bin ich um diese Abwechslung froh.

Im Hintergrund Chioggia, wie Venedig eine Lagunenstadt

… mit einigen Brücken. Man sagt, Chioggia sei ein Klein-Venedig, was ich aber nur bedingt nachvollziehen kann. Vielmehr leidet Chioggia wie viele andere Lagunenstädte unter einer überbordenden Bootsdichte, die an jeden Kai in der Stadt die Sicht auf das Meer versperrt.

In den Marken

Ravenna, hier am Mausoleum von Dante

In Ravenna wird mir zum ersten Mal sehr deutlich das Stadt-Land-Gefälle vorgeführt. Vielmehr das Land-Industriegürtel-Stadt-Gefälle. Vom Norden herkommend, muss ich einen stinkenden Industriegürtel durchradeln mit Kraft- und Zementwerken, pfui, wer will den hier wohnen- in die Innenstadt hinein, in der jeder Krümel sofort vom Boden aufgefegt wird

Südlich von Ravenna

Ab Ravenna fahre ich an der Küste praktisch immer parallel zur Eisenbahnlinie, mal sie überquerend, mal sie unterquerend, bis hinunter nach Bari.

Doch zunächst erreiche ich Rimini, eine der ehemaligen Endstationen von Eisenbahnlinien von Deutschland nach Italien, der Urlaubsort vieler Deutschen seit den 70 Jahren

Ausflugsort nördlich von Rimini bei Bordonchio

Am Hauptplatz von Rimini, den Piazza Cavour. Rimini hat sehr viele 4 Stöckige Hotels, man sieht ihnen an, dass sie in den 60 Jahren gebaut wurden. Etwas Alterspatina inklusive. Aha, der Urlaubsort meiner Vorgängergeneration.

Südlich von Rimini- endlose Strände, leerstehende Gebäude, hier wolte eine Colonia Marina Bolognese möglicherweise ein Ferienheim errichten, aber das Geld ging aus

Ich umfahre den Parco Regionale del Monte San Bartolo, da er sehr gebirgig ist und erreiche Pesaro. Landadel lässt sich hier ihre Herrschaftshäuser hinbauen, wie hier bei der Einfahrt nach Pesaro

Der Hauptplatz in Pesaro, der Piazza del Popolo

Die gesamte Adria bis hinunter nach Bari wird überwiegend geschützt von vorgelagerten Wellenbrechern. Bis dahin ist das Wasser meist sehr flach. Das verhindert das Wegschwemmen von Land Hier bei Fano)

Im Bild unten – hier bei Marotta und gleich nebeneinanderliegend- kann man sehen, dass der ursprüngliche Strand ein Stein- und Kiesstrand ist, dennoch sind auf Kilometer hin die Strände mit Sand aufgeschüttet, die jedes Jahr gereinigt und gepflegt werden müssen. Ein kostspieliges Unterfangen, wenn man auch noch bedenkt, wie wertvoll feiner Sand inzwischen geworden ist und oft für Landerosion mit verantwortlich gemacht wird.

Schließlich erreiche ich Ancona, die alte Haupstadt von Marken. Ihr Name bedeutet „Ellbogen“ aus dem Griechischen, weil die Landzunge wie ein Ellbogen aussieht, auf einer steilen Anhöhe gelegen, zudem. Aber lohnenswert ist es, einen kleinen Ausflug auf den Monte Cardeto zu machen. Ein herrlicher Seeblick entlohnt für den steilen Aufstieg.

Die Markthalle in Ancona

Ancona ist eine Hafenstadt, hier starten die Autofähren nach Griechenland und Albanien