In den Niederlanden ist Fahrradfahren weit entwickelt
Einigermaßen erstaunt bin ich in Enschede, vielmehr auf den Weg von der deutschen Grenze nach Enschede, dass neben der Straße vierspurige Radwege verlaufen, zwei für jede Richtung. In Anlehnung an die Autobahn eine Fahrradbahn! Nun ja, Holland, Radlland, denke ich, nicht ganz politisch korrekt. Als ich nach Deventer weiterfahre, und dann dort mich Richtung Stadtmitte bewege, staune ich noch mehr. Die Radwege sind inzwischen sechsspurig ausgebaut. Die Kreuzungen mit Autowegen – so nenne ich hier mal die Spuren, die für die Autos reserviert sind – folgen anderen Regeln, als ich sie jemals kennengelernt habe.
Radfahrer_innen und Fußgänger_innen habe unterschiedliche Anforderungsknöpfe
Nicht nur, dass es getrennte Ampeln für Fußgänger_innen und Radfahrer_innen gibt, die auch unterschiedliche Phaseneinteilungen haben. Jede dieser Ampeln hat einen eigenen Anforderungsknopf. Wenn es grün für die Fahrräder wird, heißt das z.B. nicht, dass auch die Fußgänger_innen überqueren dürfen. Sie haben ja das Grün nicht angefordert. Auch kann sich die Grünphase für Fahrräder auf die Überquerung genau meines Fahrrades beziehen, ist also relativ kurz, so dass sie für Fußgänger_innen unbrauchbar ist.
Sondern, vielmehr noch, es gilt der Grundsatz: Grün für den Anforderer. Wenn ein Auto zuerst anfordert, dann darf es zuerst passieren, wenn ein Fahrrad zuerst kommt, dann schaltet die Autoampel auf Rot und die Fahrradampel auf Grün. Kaum die Straße überquert, wird diese dann wieder rot. Optimale Anpassungsstrategie. Das kann bei komplexen Kreuzungen dazu führen, dass die Anforderungsrichtung eine grüne Phase bekommt, während die Gegenrichtung warten muss. In den größeren Städten, wie in Amsterdam, gelten, bedingt durch das höhere Verkehrsaufkommen, solche Regeln nur sinngemäß. Hier werden die Phasen so optimiert, dass auch hier gilt: Bei den Vorfahrtsregeln ist jeder gleichberechtigt. Ob Rad oder Auto, jeder wird gleichbehandelt. Hohes Aufkommen auf der Radspur bedingt eine längere Grünphase für Rad und umgekehrt. Und das heißt auch, dass es auch durchgehende Grünphasen für Fahrräder gibt, etwas, was ich hierzulande nur für Autos kenne. Endlich auf Augenhöhe mit den Autos!
Rechtsabbiegende LKWs sind keine Gefahr
Wie ist die Regelung für die rechtsabbiegenden Autos und LKWs, eine der häufigsten Unfallquellen für Radfahrer_innen? Die Antwort ist einfach. Wo immer es geht, – und das hat natürlich mit Stadtplanung und Stadtentwicklung zu tun -, gibt es eine eigene Ampel für den rechtsabbiegenden Verkehr. Konflikte wegen gleichzeitigem Fahren gibt es dann nicht mehr. Wo das nicht möglich ist, werden die Radwege soweit von der Kreuzung weg verlegt, dass ein Rechtsabbieger_in das überquerende Fahrrad von vorne sieht und nicht auf den Seitenspiegel angewiesen ist. Das kennt man eigentlich auch in Deutschland, trotzdem habe die meisten Kreuzungen das noch nicht realisiert.
Ein besonderes Schmankerl für die Eiligen ist, dass zur jeden Fahrradampel eine rückwärtslaufende Uhr angebracht ist, die die Zeit bis zur nächsten Grünphase angibt und man sich daher ausrechnen kann, ob man nun absteigen oder im Sattel warten kann. In Kombination mit einer durchgehenden Grünphase für Radfahrer gibt es dann den Effekt, dass die Uhr sofort auf null Sekunden zurückfällt, wenn ein Radfahrer_in vorzeitig das Grün erhält. Oder, wenn man scheinbar noch 30 Sekunden warten muss, weil gerade ein Auto Vorfahrt hat, diese dreißig Sekunden aber dann plötzlich auf eine Sekunde zurückfallen, weil kein Auto mehr die Kreuzung beansprucht und man deshalb nicht die restlichen 29 Sekunden sinnlos ausharren muss.
Grüne Welle für die Radfahrer_innen
Nicht genug damit: Wenn kein Auto in der Nähe ist, dann fallen die 30 Sekunden sofort auf null und die Ampel schaltet auf grün, ohne dass man den Anforderungsknopf drücken muss. Bei durchgehenden Grünphasen passiert es sogar, dass die Ampeln auch dann auf Grün schalten, wenn Autos vorhanden sind, und diese dann warten müssen. Vorfahrtsregeln nach dem Gleichberechtigungsprinzip!
Möglich wird das durch das Einlassen von Induktionsschleifen in den Straßenbelag sowohl für die Autos als auch für die Fahrräder. Eine lokale Ampellogik steuert dann die Uhren und die Ampeln. Das klappt alles hervorragend in den Niederlanden.
Gibt es auch Nachteile?
Wo liegt der Hase im Pfeffer? Solchermaßen strenge Regelungen für Fahrräder und Autos haben auch zwei kleine, aber nicht zu unterschätzende Nachteile:
Erstens, auch Mopeds dürfen auf den Radwegen fahren, Mopeds, die zwar nur für maximal 25 Stundenkilometer zugelassen sind, de facto aber auch schon mal 40 Stundenkilometer auf dem Tacho anzeigen. Das gefährdet die normalen Radfahrer_innen des Öfteren, wenn diese das nicht kennen oder nicht gewohnt sind, damit umzugehen.
Zweitens aber führt der Ausbau der Radwege dazu, dass Radfahrer_innen nicht auf den Autowegen fahren dürfen. Konfliktreiche Situationen sollen so durch die radikale Trennung der zwei Welten vermieden werden. Wenn ich dann aus Versehen oder nicht, mal hundert Meter auf einem Autoweg fahre, werde ich durch wütendes Hupen auf meinen Fehler aufmerksam gemacht. Mir ist es auch einmal passiert, dass ein Auto mich so nahe überholt hat, dass zwischen Auto und mir maximal ein Zentimeter Luft war. Eine sehr gefährliche Situation, die zeigen, dass nach wie vor in manchen Köpfen eine gewisse Aversion gegen die Radfahrer_innen existiert.
Das soll aber nicht die Freude am Radfahren in den Niederlanden beinträchtigen.
Juli 2019